Die Donau ist der zweitgrößte Fluss in Europa nach der Wolga, die 900 km länger ist. Aber die Wolga verläuft nur durch Russland, während die Donau durch zehn verschiedene Länder und vier Hauptstädte fließt. Meine Freundin und ich beschlossen, die Donau in ihrer ganzen Länge entlang zu radeln, von der Quelle bis zur ihrer Mündung ins Schwarze Meer, 3000 Kilometer. Durch Europa zu reisen ist leicht – die Züge sind schnell, Flüge sind günstig und die Infrastruktur funktioniert einwandfrei. Ohne Grenzen scheinen Städte wie Berlin, Paris, Barcelona und London näher denn je zusammen zu rücken.
Eine längere Tour entlang der Donau ermöglicht es einem, die Geographie und die Menschen die an ihr leben besser zu verstehen. Als das Leben noch von den Regeln der Natur beherrscht war und Zeit in der Geschwindigkeit von Pferden gemessen wurde, war die Donau eine wichtige Möglichkeit der Fortbewegung. Sie war die Lebensader von Kaufleuten, Armeen und Nationen und die Quelle neuer Ideen.
An der Donau entlang zu radeln bedeutete für uns, langsam zu reisen und es erlaubte uns, an jedem erdenklichen Ort anzuhalten und uns umzuschauen. In gewisser Weise war es aber auch ein schnelles Reisen, denn wir legten immerhin große Strecken zurück und vor allem lernten wir in relativ kurzer Zeit die Fülle geographischer Besonderheiten und Geschichten der jeweiligen Völker entlang der Donau kennen.
Eine Reise von tausenden von Kilometern mit dem Fahrrad hört sich anstrengend an, aber eigentlich stellte nur der erste Teil eine wirkliche Herausforderung dar. Wir brauchten ungefähr eine Woche um uns an das tägliche Fahrradfahren zu gewöhnen. Abgesehen von dem Gewicht unseres Gepäcks, dass wir auf unseren Rädern transportierten und dem täglichen Sitzen auf dem Sattel und in die Pedalen treten, war das Fahrradfahren in Deutschland sehr angenehm. Die Fahrradwege und die Ausschilderungen sind perfekt. Die ersten tausend Kilometer in Deutschland und Österreich waren also ideal für Amateurradwanderer wie uns. Am Wegesrand gibt es Supermärkte, Hotels, Hostels und Fahrradläden. Neben diesem ganzen Komfort war es außerdem eine eindrucksvolle Landschaft die wir hier zu sehen bekamen. Obwohl die ganze Donaustrecke interessante Orte und Landschaften bietet, führt der erste Teil durch die Berge und war für uns daher der schönste weil ländlichste Abschnitt von allen. Um Geld zu sparen, nahmen wir uns Kochutensilien mit und schliefen auf Campingplätzen. Wir zelteten oft neben anderen Radwanderern, die immer sehr leicht zu erkennen waren: Durch die ähnliche Radfahrerkleidung waren wir alle immer an den gleichen Stellen braungebrannt. Diejenigen Radfahrer, die keine Sonnencreme benutzen und auch während der heißesten Mittagsstunden radelten, hatten sogar die weißen Abdrücke ihrer Helmriemen im Gesicht.
Wenn man an der Donau entlang radelt, ist der Weg das Ziel und die Belohnung. Das mag wie ein Klischee klingen, aber in diesem Fall stimmt es wirklich. Die Route führt durch kleine, malerische Städtchen, die meiste Zeit jedoch fährt man an Flüssen und Feldern entlang, vorbei an Industriegebieten und Stadtzentren oder neben Autobahnen und Landstraßen. Diese Landstraßen waren oftmals nicht weniger interessant, manchmal schienen sie uns auch das wahre, unverblümte Leben der Bevölkerung aufzuzeigen. Sie zeigen, wie die Leute wirklich leben, weit entfernt vom Idealbild der Landschaften, die die Touristenbroschüren als besonders charakteristisch vermarkten. Einer der Gründe dieser Tour war, dass ich das Leben der Menschen in Osteuropa kennen lernen wollte. Ich glaube, vorher war ich nicht in der Lage, die Hauptstädte der osteuropäischen Länder anhand einer Karte zu bestimmen oder ihre Namen zu benennen. Und ich war erstaunt, dass das auch auf die meisten Radwanderer zutraf, die wir auf unserer Reise trafen. Obwohl der Eiserne Vorhang vor über zwei Jahrzehnten gefallen ist, wusste fast keiner der Radfahrer die wir trafen die wichtigsten Daten und Fakten zu den Ländern in denen sie sich gerade befanden. Mir wurde klar, dass Osteuropa für die Westeuropäer immer noch kaum existiert.
Pro Sekunde leert die Donau 6500 Kubikmeter ins Schwarze Meer in Rumänien und bildet damit ein großes Flussdelta. Aber die Donau umfasst mehr als nur ihren Wasserhaushalt und ihre hydrologischen Daten. In der Antike war die Donau die Nordgrenze des römischen Reiches die Kreuzfahrer marschierten auf ihrem Weg nach Jerusalem an dem Fluss entlang. Die Mongolen und Ottomanen erweiterten ihre Reiche gen Westen entlang der Donau. Für europäische Kaufleute war die Donau eine Möglichkeit neue Märkte zu erschließen. Für uns war dieser Fluss, der ein Zehntel allen Wassers in Europa transportiert, eine Möglichkeit ganze Kapitel europäischer Geschichte kennen zu lernen.